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Briefe aus dem Jemen!    

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 Hier unten Briefe von 1980

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Jemen im Süden der Arabischen Halbinsel

Warnungen Februar 2015:

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/JemenSicherheit.html

http://www.tagesschau.de/ausland/jemen-165.html

1. Sana`a, den 6.1.1980                                    

Liebe Mutter,          

                   nun bin ich schon fünf Tage von zu Hause fort und lebe bereits sehr in einer anderen Welt. Alles geht Schlag auf Schlag mit vielen neuen Eindrücken und Empfindungen! Ich schreibe jetzt nur in Stichpunkten:

also, der Flug ab Frankfurt mit der Lufthansa in einer Boing 727 klappte gut, Zwischenlandung in München, pünktliche Landung in Damaskus; wir mussten die Uhr eine Stunde vorstellen. Wir empfingen unser Gepäck und kamen mit viel Lamento durch den Zoll, ein deutschsprechender Syrer (Angestellter der Lufthansa) betreute uns und verfrachtete uns in die Taxis zum Transithotel. Hier gab es ein europäisches, reichliches Abendessen. Sonst wirkte das Hotel etwas unsauber. Am nächsten Tag flogen wir mit der Yemen Airlines in einer nagelneuen Boing 727 nicht sehr pünktlich mit Zwischenlandung in Djidda (Saudi-Arabien) nach Sana `a (also Flugzeit mit Abrechnung der jeweiligen ca. einstündigen Pausen und der Übernachtung 9 Stunden ab Frankfurt). Wir kamen im Dunklen an und wurden schon vom Chef (=Beauftragter des deds) und den anderen Entwicklungshelfern erwartet und empfangen. -

Hier im Yemen darf man nicht korrekt deutsch denken:

unsere gemeinsame Vorbereitungsstätte ist noch lange nicht fertig: ein Haus in der Innenstadt von Sana `a aus dem Mittelalter mit 12 Räumen unterschiedlicher Größe, mit wunderschönen Fenstern, außen rundherum um den Fensterrahmen gekalkt, z.T. bunte Mosaikrundfenster darüber, eingegipst. Mehrere Stockwerke führen hoch; mehrere Dachgärten, Wintergärten laden zum Verweilen ein; eben ein wunderschönes Haus aus dem Mittelalter, Außenfassade lehmfarben mit den schneeweißen Fensterumrahmungen, innen alles weiß gegipst. Zur Zeit wird noch modernisiert, Toiletten und Bäder, bzw. Duschen werden installiert. Wir haben also fließendes warmes und kaltes Wasser. Sonst ist die Stadt staubig, s t a u b i g, schmutzig! Die Haare sind jeden Tag staubig, die Schuhe sind weiß vom Staub, selbst die Innenräume sind ständig mit sandigem Staub bedeckt. Reinlichkeitsfanatiker können hier nicht leben. 

Die Menschen sind zierlich, lebendig, freundlich, oft lachend. Die meisten Frauen sieht man nur in vielen Tüchern gehüllt und mit völlig verschleierten Gesichtern.

-- Da unsere Vorbereitungsstätte noch nicht fertig ist, haben wir gestern dort erst einmal versucht, Schutt aus einzelnen Räumen nach unten zu schaffen, zum Teil mit Eimer und Seil aus dem Fenster runtergelassen. Durch die viele körperliche Arbeit und die Höhenluft (Sanaa liegt 2350m ü.d.M.) habe ich einen kleinen Höhenkoller bekommen: Schwindel und Herzrasen, was ich ja auch von La Paz (4000m ü.d.M.) in Bolivien kenne. Schnell ging es mir wieder gut.. - Zum Übergang wohne ich mit einigen von uns in einem neuen stadtauswärts gelegenen Haus, während die anderen wieder woanders wohnen.

Heute hatten wir den ersten Unterricht in Arabisch.

Hoffentlich geht es euch weiter gut! Die Welt ist hochinteressant, das Leben viel zu schade, um sich mit kleinlichen Dingen die Freude zu nehmen.

Alles, alles Liebe             eure Elenor

P.S.: Bitte noch keine Post über die Botschaft kommen lassen, bitte allen sagen: E.H. German Volunteer Service, P.O.Box  ...., Sana `a, Yemen A.R.


 

2. Sana`a, den 23.1.1980                                         

Liebe Mutter,

nun halte ich mich schon fast drei Wochen im Nordjemen auf. Wir haben schon viele Eindrücke gesammelt, dass mir persönlich die verflossene Zeit viel länger vorkommt. Zunächst kamen wir hier abends spät an und wurden nur provisorisch untergebracht, weil das große schöne alte Haus, das als Vorbereitungsstätte dienen soll, noch nicht fertig modernisiert gewesen ist - übrigens bis heute noch nicht fertig ist, obschon wir seit Beginn tatkräftig fast bis zur totalen Erschöpfung mithelfen. -- Na ja! Also, als wir damals eintrafen, wurden wir in verschiedenen Häusern untergebracht. ... Dort mussten wir auch erst fegen und putzen. Unsere spartanische Einrichtung ist auch noch nicht vorhanden gewesen. Diese besteht aus einem Bettgestell und einer einfachen Schaumstoffmatratze sowie einem Plastikschrank pro Kopf. Unser Beauftragter, Herr Reinhold E. Thiel, schleppte erst mal mit uns die Bettgestelle von seinem benachbarten Hause herüber und fuhr mit seinem Jeep fort, um noch die restlichen Matratzen von irgendwoher zu besorgen. Da wir unsere eigenen großen Kisten aus Deutschland erst nach 17 Tagen erhielten (10 Tage haben sie hier auf dem Flugplatz gestanden, weil die Zollbefreiung solange nicht erteilt wurde), lebten wir aus unseren Koffern und hatten zum Teil keine Bettwäsche. Einige hatten sowieso keine dicke Decke mitgenommen, so auch ich, sodass auch diese an jenem Abend noch von unserem eigenen Geld gekauft wurden. Bettzeug gehört nicht zur vom ded gestellten Ausrüstung. Dann haben wir noch einige Tische und Stühle rübergeschleppt. Ich habe nämlich vergessen mitzuteilen, dass pro Entwicklungshelfer noch ein Klapptisch und zwei Stühle vorgesehen sind. Zwischendurch fuhr Herr Thiel nochmals zum Einkaufen, um uns anschließend zum Abendessen einladen zu können. Die Geschäfte sind hier bis zum späten Abend geöffnet. Endlich sanken wir müde ins Bett. 17 Tage habe ich ohne Bettwäsche so auf der Matratze und unter der gekauften Decke geschlafen. Zunächst mussten wir uns an den vielen, vielen Staub gewöhnen. Wir machten unsere ersten Versuche beim Einkaufen. Wir mussten sehen, dass wir selbst untereinander, miteinander zurechtkamen; denn einige haben andere Vorstellungen vom Zusammenleben. Einer hat vielleicht Angst, dass er unter Umständen zu viel für die Gemeinschaft tun muss, und er versucht, die anderen nach seinen Vorstellungen zu kommandieren. Eine hat wiederum Angst, krank zu werden, und sie zwingt quasi zum Beispiel die anderen, 14 Tage lang kein Fleisch zu essen, sodass ein Entwicklungshelfer sogar wegen seines Appetits auf Fleisch zu unserer zweiten Wohngemeinschaft zieht, die in einem weiter entfernter gelegenem Hause untergebracht ist, zu Fuß zu erreichen, doch etwas zu weit. Dies wiederum stört die Kommunikation der gesamten Gruppe, speziell auch unserer Projektgruppe, weil zwei dort, zwei hier wohnen. Eine Woche haben wir in zwei Gruppen in Herrn Thiels Haus chaotischen Sprachunterricht erhalten. Chaotisch deshalb, weil die beiden jemenitischen Lehrer zunächst unsere Sprachkenntnisse angeblich testen wollten; aber dann haben sie doch wieder ganz von vorne mit uns angefangen, ohne recht erkennbares System. Tagelang wurde der gleiche einfache Satz gesungen, andererseits wurden etliche neue Vokabeln ohne Satzanwendung an die Tafel geschrieben, die wir dann auch eben wegen der mangelnden Übung so gut wie gar nicht behalten konnten. Die Sprachlehrer haben eine kleine Sprachschule im vergangenen Quartal ausgearbeitet, die mit der Bitte um Vervielfältigung bereits Anfang Dezember nach Berlin geschickt wurde, denn Fotokopien sind hier sehr teuer (1 Blatt ca. 1,50 DM), und ein eigenes Gerät steht nicht im Beauftragtenbüro. Irgendeiner beim ded hat bei den entsprechenden Etat- Verhandlungen geschlafen. Fünf neue Beauftragtenbüros in den verschiedenen Ländern müssen nun mit dem Geld bei der Einrichtung auskommen, als ob der ded nicht in neuen Ländern arbeitet. Nun warten wir immer noch auf die Sprachunterlagen, die kurze Zeit zur Vorbereitung verfliegt. ...... Da der Yemen erst seit acht Jahren offen ist, fehlt hier das sogenannte "know how" in fast allen Bereichen. Viele Jemeniten möchten dieses "know how" erwerben, sofern es Geld bringt. Das moderne handwerkliche Arbeiten gelingt aber jetzt noch nicht immer. In unserem Vorbereitungshaus mussten zum Beispiel die bereits einzementierten Toiletten zweimal wieder ausgehauen werden, weil bei der Verbindung die Rohre völlig mit Zement verstopft wurden. Oder die Arbeiter kommen tagelang nicht, weil sie Hochzeit feiern, ohne dies mitzuteilen, vielmehr sogar versprochen haben, zu kommen etc.  etc.... Für einen Sack Zement kann man in Sana `a zwei Stunden rumfahren. So haben wir gemeinsam beschlossen alle mitzuhelfen. Unsere ded-Männer sind ja technisch begabt. Sie verlegen Rohre, schweißen für Gas-Abzugsrohre etc. Wir hoffen, dass wir in kurzer Zeit jetzt einziehen können. Erstaunlich ist, dass der ded für auch nur spartanisches Mobiliar für die Vorbereitungsstätte überhaupt keinen Etat vorgesehen hat und offensichtlich wenig Verständnis zeigt für die vielen, vielen Schwierigkeiten in jeglicher Hinsicht, die Pioniere in diesem Land haben. Obengenanntes mag sich in dem einen oder anderen Ohr unverschämt anhören, ist es aber ganz bestimmt nicht. Ohne zu übertreiben möchte ich behaupten, dass ich eigentlich eine sehr bescheidene Person bin. ..... Wegen unseres Projektes (Health Centre in Rehab) hatten wir einen Termin beim basic health director und anschließend beim undersecretary des Ministry of Health. Dabei stellte sich heraus, dass dieses Projekt bürokratisch in Vergessenheit geraten ist. Vor sechs Jahren wurde der Bau geplant, seit drei Jahren steht der Bau für ein Health Centre neu fertig da, vor 14 Tagen sind die letzten Ausrüstungsgegenstände für ein Subcentre eingetroffen. Saudi-Arabien müsste das Projekt übergeben. Auch dies ist trotz Schreiben nach Riad noch nicht geschehen. Ein Arzt ist laut Plan für ein Subcentre nicht vorgesehen, auch beinhaltet dies kein Labor. Fängt man dort die Arbeit an, so wird man laut Jens Herrmann (GTZ-Arzt in Sana `a) nie die fehlende Ausrüstung erhalten. Seine Arbeit besteht zur Zeit darin, da sein Gesundheitsprojekt in Sana `a so recht und schlecht jemenitisch läuft und vielleicht in einigen Jahren übergeben werden kann, dass er ständig im Ministerium sitzt, um irgendeine Kleinigkeit zu erreichen, denn das Gesundheitsministerium wie wahrscheinlich auch die anderen arbeitet sehr insuffizient (das kennen wir ja auch in Deutschland). Auch ist man später zum Beispiel beim Abholen der monatlichen Medikamentenbestellung selbst dabei, weil einfach wichtige Dinge von unwissenden Menschen in der verantwortlichen Position gestrichen werden, obwohl gute    Medikamente kurz vor dem Zerfallsdatum noch gehortet werden. Wir sind auch selbst in Rehab gewesen. Der Dorfdichter hat gleich von der Moschee aus das ganze Dorf zusammengerufen. Wir konnten feststellen, wie sehr die Bevölkerung an guter medizinischer Versorgung interessiert ist. Sie haben schon oft bei der Regierung vorgesprochen. Wir wurden sehr verwöhnt mit Säften und natürlich Cola. Drei Jemeniten wurden uns vorgestellt, die sehr an einer Ausbildung interessiert sind. Ein Jemenite versorgt dort seit zwölf Jahren die Bevölkerung mit Spritzen und zum Teil mit sehr potenter Medizin. Er hat einmal zwei Jahre bei einem italienischen Arzt gearbeitet. Er hat auch erst kürzlich einen Artikel geschrieben für eine in Sana `a herausgegebene Zeitung über die Unglaublichkeit des vor sechs Jahren geplanten und noch immer nicht übergebenen Projektes. .... In die imposante, eigenartig reizvolle Gebirgslandschaft haben wir uns gleich verliebt. Mal sehen, was geschehen wird! Nächste Woche werden wir nochmals im Ministerium vorsprechen. Inzwischen lassen wir uns von der Transportfirma die Liste der gelieferten Ausrüstungsgegenstände geben und wollen vielleicht entgegen unserem ursprünglichem Vorhaben gemeinsam überlegen, was zum vernünftigen Arbeiten fehlt und welche Möglichkeit das Ministerium zur Erlangung bietet. Zum Beispiel wurde uns bei einem Besuch im Zentralen Labor zugesichert, dass Mittel vorhanden sind, uns bei der Einrichtung eines Labors zu helfen.

Entschuldige bitte den unpersönlichen Schreibstil und die Tippfehler. Ich habe zum ersten Male einen Brief direkt in die Maschine getippt. Mir geht es sehr gut. Die Kisten waren gut erhalten. Ich habe keine Krankheit. Es gibt fast alles zu kaufen, nur ist das Leben sehr teuer. Mittlerweile gefällt mir die Stadt sehr gut. Der Blick vom Dach des Wohnhauses ist sehr, sehr schön. Grüße bitte alle! Alles, alles Liebe eure Elenor                       


                   

3. Sana`a, den 16.2.1980

Liebe Mutter,

vielen Dank für deine beiden Briefe, die ich vorgestern erhielt. Bisher habe ich wohl alle deine Briefe erhalten. Beiliegend zwei Briefe mit folgender Bitte:

1. Kühne & Nagel. Ich habe hier die Adresse nicht. Schick` bitte den Brief an Kühne & Nagel. Einen Durchschlag habe ich schon an Herrn Frahm im ded gesandt. Ich habe also damals gleich Herrn Frahm einen Verrechnungsscheck gegeben. Vielleicht kannst du die Summe bei meinen Bankauszügen finden.

2. liegt ein Brief für England, betr. T r o p i c a l  D o c t o r  bei. Schreib` bitte unter meiner Adresse die Anschrift ein und die invoice - No (Rechnungs-Nr.) und sende den Brief nach England und teile mir bitte auch die Adresse mit. Ich bitte in diesem Brief, dass der Tropical Doctor in den Yemen gesandt wird und um neue Rechnung, die ich von hier bezahlen werde.

Mit deinem Zucker ist ja gar nicht schön. Nun musst du auch mit Hilfe deines Arztes sehen, dass der Zucker immer gut eingestellt ist, damit du nicht so leicht weitere Schäden erleidest. Dr. Kaumanns wird dir ja über Diät einiges erzählen; die Diät ist sehr wichtig!!! 

Vorgestern haben wir Weiberfastnacht in der Deutschen Farm gefeiert. Deutsche Privatleute haben ein tolles Programm abgewickelt. Wir hatten sehr viel Spaß. Ich lege dir ein Bild bei. Zeige es bitte auch bei Gelegenheit den anderen ( .......).

Ursula hat einen langen Brief erhalten. Vielleicht lässt du ihn dir schicken.

Alles, alles Gute                                                            

deine Elenor


 

4. Sana `a, den 02.03.1980

Ihr Lieben,

mittlerweile lebe ich hier acht Wochen, und wir sind schon so fleißig gewesen und haben so viele neue Informationen erhalten, dass wir manchmal nicht wissen, wo uns der Kopf steht - und das zunächst mal immer noch in der Vorbereitungszeit! Unser Projekt, das aus 16   Räumen bestehende Health Centre,  wird ja ganz neu eröffnet; und fast alles muss geplant werden in einem uns unbekannten Land mit anderen Administrationen, anderer Sprache, vielen Gesundheitseinrichtungen, wofür wir zu Gesprächen immer wieder neue ministerielle Einführungsschreiben benötigen etc., etc. Über Putzeimer, Kehrschaufel, Nagel für die Wand, Decken, Baumwolle bis zum Kühlschrank dürfen wir nichts vergessen. Insgesamt müssen wir Aufstellungen für Medikamentenlisten, Sanitärlisten, Laborreagenzien etc. schreiben, also die gesamte Logistik. Unseren vorläufigen Arbeitsplan denken wir uns aus, Unterrichtsziele etc., Arabisch studieren, für uns einkaufen, kochen, waschen ohne Waschmaschine, uns allmählich eine kleine Einrichtung anschaffen. Zusätzliches Personal ist außer fünf ungelernter Kräfte, die wir ausbilden werden, noch nicht geplant. Budget-Frage ist noch nicht geklärt. Seit mehr als einem Jahr gibt es kein Verbandmaterial von der Regierung, oder auch kein Nahtmaterial oder Nadeln, kein Tetanol etc., wobei täglich reichlich Wundversorgung zu machen ist. Der Gynäkologe hier in der Hauptstadt in einem Krankenhaus curettiert  zum Beispiel ohne Analgesie (Betäubung).                                                              

Sonst geht es uns ausgezeichnet. Gerade heute hat uns ein Deutscher, der hier mit einer Firma im Flughafen-Projekt gearbeitet hat und später auf dem Land in Zusammenarbeit mit Italiener, kurz vor seiner Rückkehr nach Deutschland mit reichlichen Mengen aus seinem Lebensmittelvorrat aus Deutschland beschenkt. Die Sachen hatte er immer von seiner Firma zugeschickt bekommen. Obwohl wir uns hier anpassen möchten, haben wir uns sehr darüber gefreut. Wir alle hatten inzwischen auch den obligatorischen Durchfall, mehr oder weniger lange mit allgemeiner Schwäche; aber nun geht es uns allen wieder gut.

In unserem Wasser haben wir Nitrite nachgewiesen. Jetzt trinken wir nur noch gekauftes Wasser in abgefüllten Flaschen; dennoch putze ich mir noch so meine Zähne, wobei zu bemerken ist, dass unser Tank des öfteren leer ist, dann fehlt morgens die Wäsche --- man kann sich an alles gewöhnen --- ein Vagabundenleben hat auch seine Reize!

So fällt es mir eh nicht schwer, auf schicke Kleidung zu verzichten, diese lohnt sich nicht, denn alles wird sehr schnell staubig, die Strassen sind sehr holprig und uneben --- nicht für schmale hohe Absätze geeignet. Allerdings braucht man als Europäerin nun doch nicht so verschleiert oder bedeckt zu gehen, wie ich mir das noch in Deutschland vorgestellt hatte.

Über ganz Sana `a hört man aus allen Ecken von den Moscheen das Rufen der Muezzin: Allahuakbar etc. bereits ab ca. 4 Uhr früh. Oben von unserem Dach des Hauses in der Abenddämmerung mit dem Blick über Sana `a, den vielen Moscheen, der eigenartigen Architektur, dazu das Rufen der Muezzin, im Hintergrund die Silhouette des umgebenden Gebirges, sehen wir das Bild aus dem Mittelalter. 

Der liebe Gott wollte sich nach langer, langer Zeit unter der Assistenz des Engels Gabriel die Erde beschauen, um zu sehen, was aus seiner Schöpfung so geworden ist. Über New York fragt er den Engel Gabriel, was denn die in den Himmel ragenden Gebilde darstellen mögen: ja das seien doch die Wolkenkratzer, um auf kleinem Raum Wohnung zu geben., was denn die sich träge durch die Landschaft bewegenden Bänder täten: ja das seien doch die vielen Autos hintereinander, in denen sich die Menschen von einem Ort zum anderem begeben möchten, um weiter Kontakt miteinander zu haben!!! --- Nein, nein, was sind meine Geschöpfe mir fremd geworden, ich finde mich kaum noch zurecht! --- Schau mal! Schau mal! Der Jemen!!!

So ähnlich wurde uns die Geschichte hier erzählt.

Ganz so beschaulich ist der Jemen nun leider doch nicht mehr; denn die ausländische Industrie hat ihre Produkte längst eingeführt, sodass z.B. die Cola-Dosen leer plattgedrückt die Strasse pflastern, die zerfetzten Plastiktüten herumfliegen, auf den Strassen nun doch ein wildes Autofahren  sich in den letzten zwei Jahren entwickelt hat mit dem entsprechendem Hupen, noch nicht gelerntem diszipliniertem Verhalten, sodass bei Stockungen niemand ausdenkt, wie eine Entwirrung möglich ist, im Gegenteil, auch hier fahren dann in jede nur noch freie Lücke die anderen von hinten nach bis ein unentwirrbares Knäuel entstanden ist.

Bei Unfall mit Todesfolge beträgt das Kopfgeld zur Zeit 120 000 YR (Yem. Rial) = 48 000.--DM. Ein Ausländer trägt immer die Schuld. Er kommt zunächst sowieso ins Gefängnis und muss auch mit der Blutrache der Angehörigen später rechnen, sodass er dann meist vorher das Land verlässt. Man denke darüber mal nach wie man wolle.

Jedes mal, wenn wir eine Über-Land-Tour machen, auch auf einer uns schon bekannten Strecke, so erscheint uns die Landschaft wieder anders im anderen Licht, wieder besonders seltsam reizvoll.  

Die Jemeniten sind sehr freundliche Menschen, zu uns auch.       

Besonders schön ist es für mich, Zuschauer sein zu dürfen, wenn sie sich begrüßen.

Viele Grüße an euch alle von ganzem Herzen sendet euch eure

Elenor


 

5. Sana `a, den 11.3.1980

Ihr Lieben, liebe Mutter, 

vielen Dank für euren 7. Brief vom 27.02. Entschuldigt bitte die vielen Fehler hier im Brief! Wir freuen uns alle immer sehr über Post.

Unsere Vorbereitungszeit hier in Sana `a neigt sich fast dem Ende zu, beinahe lebe ich schon 10 Wochen im Jemen. Nächste Woche stehen uns acht Tage zur Verfügung, um mit landesüblichen Verkehrsmittel, d.h. Sammeltaxis, Bussen, per Anhalter, durchs Land zu reisen, unsere Sprachkenntnisse während neuer Kontakte zur Bevölkerung zu erproben; aber auch müssen wir uns ein wenig erholen; denn wir arbeiten hier wirklich viel.

Eigentlich habe ich erst zwei freie Wochenenden gehabt, sowieso besteht sonst das Wochenende aus einem freien Tag: Freitag. Allerdings arbeiten auch an diesem Tag sehr viele Jemeniten. Die Geschäfte in Sana `a sind fast alle geöffnet, d.h. von morgens bis mittags und dann ab 15 Uhr bis abends 22 oder 23 Uhr. Es gibt hier sehr, sehr viele Geschäfte, v.a. kann man in einem Laden fast alles erhalten. Die Jemeniten sind ja schon immer ein Händlervolk gewesen. Die Geschäfte in Saudi-Arabien werden zumeist von Jemeniten geführt.                                                        

Die Regierung im Jemen ist sehr arm, weil auch noch kein ordentliches Steuersystem eingeführt ist. Außerdem sehen die Jemeniten nicht ein, dass ihr Geld von der Militärregierung für in ihren Augen unnötige staatliche Geschäfte ausgegeben wird; die Unzufriedenheit der Bevölkerung ist sehr groß. Dem Gesundheitsbereich stehen nur sehr knappe Mittel zur Verfügung. Alle vom Ministerium ausgegebene Medizin kommt von Unicef oder anderen Geberländern. Da unser Health Centre völlig neu eröffnet wird, entwerfen wir zur Zeit in Nachtschichten sämtliche Papiere, Karteikarten, Listen, Diagnosezettel etc. ... schreiben die Anforderungslisten für Medizin, Sanitärartikel, Putzmittel, zusätzliche Ausrüstung, fahren mit dem Taxi durch die Stadt und holen Material ab, z.B. bei family planning, Kondome etc., Sterilisationsbesteck, Spiralenbesteck, Medizin bei T.B.-Control-Centre, Karteikarten, Impfmaterial, bei Unicef eine riesige Instrumentenkiste zur Mutter- und Kind-Betreuung. Für alles benötigen wir jeweils drei Tage, weil alles von verschiedenen Stellen abgezeichnet werden muss.

Unser Projektauto, ein Toyota-Jeep, steht schon seit 14 Tagen vor der Tür, weil Zulassung, Steuerangelegenheit, Versicherung etc. sehr umständlich sind. Das Auto ist blau, wir malen auf die Türseiten den roten Halbmond auf weißen Kreis und "German volunteer service", das auch in arabischer Schrift, in Lautschrift hört sich das so an: " al mu(w)assassa al almania lilmutatawaein".  

Unser Projektort Rehab al Qafr liegt ca. drei Autostunden von Sana `a entfernt auf der Straße zum Süden zwischen Yarim und Ibb westlich im Gebirge, noch 40 Minuten sog. "rough road". Um einiges dort zu organisieren, sind wir schon dreimal während zwei-oder-drei-Tagesreisen übers Wochenende dort gewesen, einmal auch weiter im Süden in der Stadt Taiz. In Ibb haben wir ein Mutter-und-Kind-Zentrum besucht, das von Norwegern geleitet wird. Die Norweger sind so nett und aufgeschlossen uns gegenüber gewesen, wie sonst kaum Leute hier, v.a. haben sie uns sehr viele ausführliche Tipps gegeben. Unser Krankenpflegeehepaar wird dort 10 Tage Anfang April unmittelbar vor Eröffnung des Health Centres hospitieren. Zur gleichen Zeit werde ich mir in einem von amerikanischen Baptisten geleitetem Hospital in Djibla, ca. 35 Autominuten von Ibb entfernt, den Betrieb ansehen. Während wir uns damals etwa eine Stunde dort aufhielten zur Besichtigung und zur Vorstellung wurde gerade eine schreiende Frau gebracht:     10.-Gebärende mit völligem Armvorfall. Ich wurde eingeladen, der Behandlung beizuwohnen. Eine Symptomatik zur Uterusruptur lag nicht vor, sodass die Operateurin mit 20-jähriger Erfahrung in Mittelost zunächst bei intrauterinem Fruchttod in Op.-Bereitschaft, Spinalanästhesie den Arm abgetragen hat, innerlich den Kopf (!!) eingestellt hat und anschließend mit Forceps extrahiert (hohe Zange). Bei der manuellen Nachtastung zeigte sich ein hoher Cervixriss mit weiterreichender Uterusruptur, sodass sofort die abd. Hysterektomie durchgeführt wurde. Der Betrieb im Op.-Saal lief von der personellen Besetzung genau so, wie ich es gewohnt bin. Mit meinen Lehrern hätte ich dann wohl gerne darüber gesprochen; denn ich hätte vielleicht erst einmal einiges anders gemacht. Zum Beispiel hätte ich zuerst einmal das Ärmchen angeschlungen und dann auf die Füße gewendet.      

Viel erfreulicher ist eine andere Sache: Ich habe meine erste Hausgeburt geleitet!! In Sana `a!! In Sanaà in einem jemenitischen Haushalt:  ............................... von den ortsansässigen Gynäkologen konnten sie niemanden erreichen. Ich wusste noch gar nichts von ihnen und war gerade mit nassem Haar der Badewanne entklommen, um draußen im Sonnenschein die Fußnägel zu lackieren. Außer Atem nach ca. einstündiger Suche nach mir stand der Ehemann vor mir, irgendwie hatte er von mir gehört. Was? Viertes! --- Alles stehen und liegen lassen! Im Auto haben wir uns erzählt, dass ich ja überhaupt nichts habe, um bei einem Notfall zu helfen. Im Haushalt habe ich sofort Wasser kochen lassen, die Wehen waren gerade erst eingetreten, alle 20 Minuten, der Muttermund war erst für Finger geöffnet, sodass wir noch Zeit hatten und noch schnell einige Sachen besorgen konnten. Von einem engl. Health Centre hatte ich eine Instrumentenschale mit einigen Klemmen, Spekula, Nahtbesteck geschenkt bekommen und einige wenige sterile Handschuhe. In einer Apotheke konnten wir Methergin und post.pit.(Oxytocin) erhalten. So fühlte ich mich für den Notfall wenigstens ein wenig beruhigt. Die Patientin hat mit mir wunderbar geatmet anfänglich, sie war so erleichtert als sie mich sah --- eine wunderbare Entbindung --- ein entzückendes Baby! Es ist ein komplikationsloser Verlauf bisher gewesen; und ich betreue sie korrekt nach den Regeln der Kunst, wie ich es gelernt habe. Das Kleine ist zwar sehr klein: 2500g, das sind aber fast alle hier, 1500g ist keine Seltenheit. Es ist etwas gelb und erhält natürlich Phototherapie, es trinkt gut, wenig alle 2 Stunden an der Mutterbrust. Nun möchte meine Pat. nur noch von mir behandelt werden. Man staunt, was man in der Not alles in Privathaushalten als Gynäkologe kann. Mittlerweile wird meine holländische schwangere Pat. mit schweren pyelonephritischen Schub und anfänglichen vorzeitigen Wehenbeginn glücklich nach Kurzaufenthalt in Rom in Baden-Baden bei der Familie des Ehemannes und mit meinen Grüßen an Frau Dr. Mönckeberg gelandet sein. Vier Wochen habe ich sie hier ambulant betreut, anfangs drei Tage bei ihr zu Hause geschlafen, um    sechsstündlich das Antibiotikum i.v. zu spritzen, da sie auch ständig erbrach. Wir tragen jeweils die Verantwortung gemeinsam, werden Ärztin-Patientin-Einheit: Gott sei Dank kann ich auch Kraft meiner nun doch schon längeren klinischen Erfahrung (acht Jahre) die Verantwortlichkeit sehr weit stecken. Zu Beginn hätte ich dies wohl nicht so mutig tragen können. Leichtsinn ist das alles nicht! Übrigens wurde Anfang der 60iger Jahre Frau Dr. Mönckeberg als eine der wenigen Chefärztinnen der Gynäkologie in Deutschland (Klinikum in Leverkusen) von der Bundesregierung gebeten, einer Angehörigen des Imam im Nordjemen operativ zu helfen. Damals war der Nordjemen noch hermetisch zum Ausland hin abgeschlossen und befand sich tatsächlich noch im Mittelalter. Während meiner Vorbereitungszeit in Tropenmedizin in Heidelberg und Tübingen habe ich nach Anmeldung Frau Dr. Mönckeberg in Baden-Baden besuchen dürfen; denn sie war ja in Leverkusen bereits ein Jahr vor meinem Eintreten in die Klinik in den wohl verdienten Ruhestand getreten. Viel hatte ich dort von ihr gehört, sodass ich aus vielen Gründen froh und dankbar gewesen bin, sie persönlich kennen lernen zu dürfen. Diese informativen Stunden in wunderbarer menschlichen Atmosphäre bei ihr werde ich immer in bleibender Erinnerung bewahren. 

    Letztes Wochenende habe ich endlich einmal ausgespannt. Mich hat jemand auf der Route zum Westen ans Rote Meer nach 18 km nördlich von der Hafenstadt Hodeida mitgenommen. Wir sind wieder durch eine unbeschreiblich, immer wechselnde Gebirgswelt mit kunstvollen Terrassen gefahren. Zunächst fuhren wir immer höher, manchmal mühselig die Serpentinen hoch (Straße von den Chinesen gebaut) und kamen dann ins Canyon mit Wasser und üppiger Vegetation, dann in die Ebene, Tihama. Am Rotem Meer schliefen wir im Freien unter dem Sternenzelt und Palmenhainen. Dicke Insekten flogen herum, doch bald hatte ich mich daran gewöhnt und konnte die Naturgeräusche genießen. Morgens wurden wir von den jemenitischen Fischern geweckt, die kamen und ihre Netze einholen wollten und sich wenig um uns störten. Etwas ratlos standen sie vor ihrem sehr mageren Ertrag. Fast den ganzen Tag habe ich geschlafen, ich litt unter dieser feuchten Hitze, ich bin geschwommen, habe Holz am Strand gesammelt und ein Lagerfeuer gemacht. Ich hatte einen ganz unangenehmen Durchfall. Sonst bin ich gesundheitlich top fit. Manchmal erscheint mir alles zu viel, weil wir die Klinik so ganz von vorne durchorganisieren müssen. Alle Chancen, es gut zu machen, liegen darin, aber eben auch alle Chancen, alles verkehrt zu beginnen. Die Sprachprobleme ... !!!, seit ca. vier Wochen haben wir alle einen Black out, mein Englisch lässt ja auch zu wünschen übrig! Aber ... , wer rastet, der rostet --- weiter!!! ---                    

Denn, --- wie sieht es zu Hause aus? ......

Die Jemeniten habe ich zum Teil schon lieb gewonnen: wie die Männer in ihren staubigen Baumwollstoffröcken mit normalen Jackett und dem Krummdolch im Gürtel vor dem Bauch herumlaufen, sich immer freundlich, brüderlich begrüßend: ja achi! (hallo, mein Bruder!); auf der rough road bleiben die Fahrer mit sich begegnenden Autos erst einmal stehen und erzählen sich, wohin des Weges und was es so Neues gibt. Die Frauen spazieren auf der Strasse tief verschleiert, aber zu Hause bewegen sie sich freier und sind chic gekleidet, je nach dem.

Oben habe ich zwei Adressen angegeben. Die erste Adresse bleibt wohl immer, aber ab 1.April sind wir ja im Projekt, sodass die zweite Adresse besser ist, näher. Die Norweger sind so freundlich, unsere Post in ihrer P. O. Box zu sammeln, so erhalten wir vielleicht doch wöchentlich Post und nicht nur monatlich. --- Das Projekt wird hoffentlich keine Totgeburt. --- Vielleicht komme ich jetzt in der nächsten Zeit kaum dazu, Briefe zu schreiben, es wird sich ja so viel ändern. Am 13.4. werde ich natürlich ganz fest an meine Mutter denken und ihr von ganzem Herzen noch weiter ein schönes Leben wünschen. Lass `dich nie unterkriegen! Feier` schön, kauf` dir schöne Blumen, lad` jemanden ein oder ... `! Lies` Ursula bitte den Brief am Telefon vor, wenn ihr wollt! 

Alles, alles Liebe        eure Elenor                                    


                                                                      

6. Zabid, den 27.3.1980 

Ihr Lieben,

wie geht es euch? Liebe Mutter, was macht dein Zucker?

Nun befinde ich mich mitten in der Woche unserer Vorbereitungszeit, in der wir mit landesüblichen Verkehrsmitteln das Land bereisen. Also am Sonntag bin ich noch für unser Dorf Rehab unterwegs gewesen und abends dann in Taiz gelandet. Es ging um das Projekt für die Wasserleitungen, -Rohre für unser Dorf, was längst von der Weltbank und Welthungerhilfe irgendwie geliefert worden war und wegen mangelnder man-power irgendwo verrottet. Vielleicht wird einer unserer Entwicklungshelfer vorrübergehend bei uns eingesetzt werden können. Die jemenitischen Regierungsleute sind sehr kooperativ und freundlich gewesen. Bei sehr netten Engländern konnte ich dann abends in Taiz übernachten. Im Verlauf der Geschichte des Jemen war Taiz wegen der günstigen geographischen Lage zwischen dem Nord- und Süd-Jemen mehrmals Hauptstadt des Jemen. Durch die vielen Zerstörungen in der Vergangenheit ist diese Stadt nicht so mittelalterlich orientalisch wie Sana`a. Am nächsten Morgen bin ich dann früh mit dem Sammeltaxi und Rucksack weitergefahren nach Zabid. Zabid ist ein kleines Städtchen auf der Nordsüdstrecke zwischen Mocka und Hodeida, ca. 15 - 30 km parallel zur Küste zum Roten Meer. Historisch vor etwa 600 Jahren stand diese Stadt kulturell und geisteswissenschaftlich in großer Blüte. Viele bedeutende Gelehrte haben hier wissenschaftlich geforscht und ihr Wissen weitergegeben. Die Universität nahm in Arabien eine führende Rolle ein. Heute ist Zabid aber eher unbedeutend. Hier arbeitet einer unserer Entwicklungshelfer für zwei Monate im Technik-Trainings-Centre. Am nächsten Morgen sind wir mit dem Pick-up, das sind kleinere Lastwagen mit offener Ladefläche hinten, ca. 60 km weit gereist durch Sanddünen, durch die Tihama, zum Meer. Das Klima in der Tihama ist etwa das brutalste Klima auf der Erde: hohe Temperaturen, allerhöchste Luftfeuchtigkeit! Wir standen oder saßen hinten auf der Ladefläche zwischen Jemeniten, Ziegen, Säcken etc. und ließen uns tüchtig in der ansonsten unangenehmen Hitze vom Fahrtwind durchpusten. Die Fahrten sind sehr billig gewesen; nachdem wir beim ersten Angebot: 150 YR gelacht hatten, mussten wir nur 15 YR zahlen. Unterwegs überholte uns auch ein tüchtiger Wüsten-Sandsturm. 

Nach dem Aussteigen wurden wir gleich im Restaurant von ortsansässigen Jemeniten zum Essen eingeladen. Wir haben dort auch viel, viel Wasser für unsere Kanister gekauft, und wir haben uns mit den Rucksäcken zu den Palmenhainen zwischen den Sanddünen am Meer auf den Weg gemacht. Aber auch hier lud uns unterwegs ein freundlicher jemenitischer Fischer in seine bescheidene strohbedeckte Rundhütte ein und bewirtete uns mit Wasser, Tee, Fischsuppe, Qatkauen, Wasserpfeife, Öl ins Haar, Parfümöl ins Gesicht als Freundschaftsgeste, bis zum Abend, bis der pfeifende, sandtragende Wind vorüber war und wir unser Zelt aufbauen konnten und endlich ein erfrischendes Bad im Roten Meer bei starker Brandung nahmen --- schön !!!
Viele liebe Grüße sendet ganz herzlich    eure Elenor

 

7. Ibb, den 10.5.1980

Ihr Lieben,

soeben bin ich in Ibb und habe nun eure letzten Briefe erhalten. Schnell sende ich euch ein kurzes Lebenszeichen. Wir haben sehr, sehr viel zu tun. Am Sonntag 4.5. ist die große Eröffnungsfeier gewesen mit allen offiziellen jemenitischen Größen. Vorher haben wir pausenlos geräumt, geputzt, genäht, etc., auch schon pausenlos Patienten versorgt. Jetzt kommen ca. 100 Patienten am Tag, Notfälle auch in der Nacht. Geburtshilfliche Eingriffe muss ich selbstverständlich auch machen, ohne dass ich zur Ausschabung Instrumente oder eine Saugglocke oder Zange habe. Ich wollte mir heute in Taiz Kurznarkose-Mittel besorgen. Im Moment bin ich fix und fertig! Ich stehe unter Schock!!! Als Autofahrerin mit weiteren fünf Jemeniten als Beifahrer habe ich soeben mit unserem Jeep auf offener Landstrasse nach Ibb einen Totalschaden gebaut: der Jeep hat sich mehrmals in Fahrtrichtung im Kreise gedreht, hin und herkippend und dann auf den Kopf gesetzt. Dieser Moment lief in mir wie in Zeitlupe ab mit den Gedanken: bist du gleich tot? Wirst du leben? Nichts konnte ich mehr tun. Gott sei Dank, keiner ist tot, nur leichte Verletzungen hat der eine oder andere; denn unser Stahlgepäckträger hat uns das Leben gerettet. Wir sind sofort dem Auto entklommen, haben den Motor ausgestellt, das Auto zur Seite geschoben, einen alten Jemeniten als Wächter bestellt, die Gasflaschen entnommen, Taxi angehalten, um nach Ibb zu kommen. Dort habe ich unseren Chef (Beauftragter des deds) in Sana `a angerufen, der mich erinnerte, eine polizeiliche Meldung wegen der Versicherung zu machen. Erst nach der Erledigung dieser Aufgabe merke ich, dass ich humpeln muss, weil ich eine starke Kniegelenksprellung habe. Woher bekommen wir jetzt ein neues Auto so schnell? --- Viel Arbeit, ich bin fix und fertig! Aber macht euch keine Sorgen, wir + ich schaffen das schon!!!

Ganz traurig bin ich über die Nachricht wegen der kleinen Heike gewesen, erfreulicherweise ist sie ja sonst gesund. Wann erhalte ich ein Bildchen der kleinen Neugeborenen?

Liebe Mutter, schick` mir doch bitte ein Päckchen mit Krokantschokoladeneiern und vier Fieberthermometer und sonst was Nettes, ein Taschenbuch ...! Unsere Postfachnummer hat sich geändert, wir haben eine eigene: P. O. Box .... Ibb.

Grüße bitte alle, ich habe jetzt schon sehr lange nicht geschrieben - keine Zeit!

Ich bin gesund, habe jetzt nur einen kleinen Schock, lebe aber Gott sei Dank! Gleiches könnte überall auf dieser Erde passieren!

Alles, alles Liebe, besonders an Ursula und Helmut  eure Elenor


 

8. Rehab, den 16./19.5.1980

Ihr Lieben,

vier und einen halben Monate verbringen wir nun schon im Jemen unsere Zeit. Lange  habe ich keine Briefe mehr geschrieben. Mittlerweile haben wir so viele Eindrücke gesammelt, so viel hat sich geändert, so viel Schönes haben wir erlebt; aber mindestens genau so viele Probleme existieren, dass ich nicht weiß, wie ich das alles schildern soll. Eigentlich könnte ich sicherlich schon zwei Bücher schreiben. Ungeordnet fange ich einfach mal wieder an:

Unser Health Centre Rehab al Qafr liegt nur bei schneller Fahrt ca. drei Autostunden von der Hauptstadt Sana`a entfernt, südlich im westlichen Gebirge. Die Fahrt geht im Gebirge rauf und runter über sogenannte rough road. Der Ort liegt hier in einem Talkessel 1000 m ü. M., umgeben ringsherum von einem Bergmassiv mit vielen verschieden hohen Gipfeln und Schluchten mit vielen bewirtschafteten Terrassen. Das Gebiet ist sehr fruchtbar, Mangobäume, Bananen, Kaffee und natürlich Qat wachsen hier. Vor kurzem ist die kleine Regenzeit gewesen, da hat es fast jeden Nachmittag geregnet, und alles ist schnell ergrünt. Um diese Landschaft richtig zu beschreiben, fehlen mir die Worte. --- Seit Mitte April leben wir hier, vorher sind wir zu Vorplanungen schon öfters hier gewesen und haben in Sana`a tüchtig Wind machen müssen, um wenigstens das Allernötigste zum Arbeiten zu erhalten. Wir mussten alles selber planen, Medikamente, Administration, einfach alles. In Sana`a habe ich zum Beispiel nach einem Besichtigungsgang in die an verschiedenen Plätzen gelegenen neun Lagerhallen für Medikamente eine Bedarfsliste erstellt und täglich mit dem zuständigen Pharmazeuten im Ministerium um jede Ampulle und Tablette etc. gerungen. Ab unserer Ankunft hier haben wir erst einmal alles geputzt, geräumt, sterilisiert, aus dem wenigen Stoff einige Tücher genäht zur kleinen Wundversorgung, unser eigenes Wohnhaus eingerichtet, auch hier fehlte es an vielem.  Strom haben wir nicht. Vom Nachbarhaus wurde eine Stromleitung gelegt, sodass abends bei uns drei Lampen brennen, aber nicht in meinem Zimmer. Ich helfe mir mit Petroleumlampen und einem Gaslicht. Mein Zimmer ist sehr gemütlich: ca. drei mal acht Meter groß, zweigeteilt durch ein Stahlregal und einen Plastikkleiderschrank in einen Schlafbereich: Matratze liegt auf dem Fußboden, und in einen Wohnbereich mit einer großen Mafradsch, das sind viele schön mit Stoff bezogene Matratzen und an die Wand gestellte Rückenkissen, dazwischen kleine Armkissen, dazu zwei schöne gewebte jemenitische Teppiche. Alles habe ich mir so nebenbei ausgesucht, anfertigen lassen etc. Bei tüchtigem Regen kommt sehr viel Nass in mein Zimmer durch. Es wird aufgewischt, die Mafradsch wird in die Mitte geschoben. Es trocknet schnell, man muss das nicht so eng sehen. In der ersten Nacht krabbelten 7 Kakerlaken über den Boden. Gleich am nächsten Tag habe ich dann doch auf dem Markt Baygon gekauft und in den Abguss gegeben. Nun habe ich Ruhe. Mein Gecko im Deckengebälk stört mich allerdings nicht. Während wir das Health Centre flott machten, kamen auch schon laufend Notfälle rein, Totgeburten, Placentaretentionen, Erstgebärende mit zu langem Geburtsverlauf, Wundversorgungen nach Djambiakämpfen (obligatorischer Krummdolch) , Abszesse etc., ohne dass ich geburtshilflich eine Zange, Glocke oder Curetten zur Verfügung habe. Einiges habe ich bestellt, ist aber noch nicht da. Das Nahtmaterial lässt sehr zu wünschen übrig. Wenn das so weiter geht, ist das spärliche Verbandsmaterial in einigen Tagen aufgebraucht. Wir wissen auch nicht, woher der Diesel stetig in der nächsten Zeit kommt. Er, der Generator wird nur gerade angemacht, um zu sterilisieren oder, um nachts den Notfall zu sehen und zu behandeln, wenn die Taschenlampe nicht ausreicht. In einem weiter entlegenen Dorf sterben zur Zeit reihenweise Kinder an Masern. Man kommt dort nur zu Fuß hin; aber ein arabisches Sprichwort sagt, dass man die Füße nur so weit strecken soll, wie lange die Decke reicht. Zur Zeit verarzten wir täglich von acht bis ca. 13-14 Uhr ca. 100 Menschen, die lange auf uns gewartet haben und oft von weither kommen und lange warten, bis sie dran kommen. Anschließend machen wir bis in den späten Nachmittag Ordnung und werden ständig für Notfälle gerufen, also ein 24-Stunden Tages- 365-Tages-Jahreseinsatz. --- Teilweise kriechen wir jetzt schon buchstäblich auf dem Zahnfleisch. Wenn bald unsere wenigen tüchtigen ungelernten jemenitischen Mitarbeiter weglaufen, weil sie kein Geld von der Regierung erhalten, denn das neue Finanzjahr beginnt erst in ca. zwei Monaten, dann geht nichts mehr. --- Wann sollen wir mit der Präventivmedizin beginnen? Vielleicht ist dies eine Aufgabe für die nächste Gruppe. Wenn man bedenkt, dass der Jemen erst vor acht Jahren aus dem Mittelalter geholt wurde, dann muss man auch jetzt weiter Geduld haben. Andererseits haben die vielen westlichen Einflüsse schon sehr viel Unheil angerichtet, so auch in unserem Bereich; denn vorläufig wollen alle Leute Spritzen und Medikamente von uns haben, auch bei sozusagen psychosomatischen Erkrankungen (Medikalisierung!!!). Sehr viele Menschen haben hier "Bauchschmerzen". 

Bei den Frauen wandern die Schmerzen von der pulsierenden Bauchaorta in den Nacken und vorne in den Kopf. Fast alle machen mir dies mit sehr eindrucksvoller Gestik und beschwörendem Gesicht vor. Wenn wir nur orale Rehydration bei Kindern oder einfache physikalische Maßnahmen bei Muskelverspannungen verordnen, dann werden wir für nicht gut befunden, oder sie denken, wir unterschlagen ihnen vielleicht nur die gute westliche Medizin. Es wird noch eine große Weile dauern, bis die Menschen begreifen, dass Gesundheit mit der Umwelt anfängt. Die kleinen Neugeborenen sind alle in total verschmutzten Tüchern eingehüllt, haben stramm um den Kopf eine Haube aus dichtem Plastikstoff, früher war das mal Damast. Deshalb leiden viele unter Schmutzekzemen, besonders im Ohrbereich. 
Unser Health Centre ist am 4.Mai offiziell feierlich eröffnet worden: Gesundheitsministerium, Saudi-Arabien, Deutsche Botschaft, Deutscher Entwicklungsdienst, weitere Offizielle  und das Fernsehen sind mit ihren Vertretern anwesend gewesen, selbstverständlich auch viele der Bevölkerung, eine Tanzgruppe, Schulkinder zum Singen etc., etc., ein toller Tag!!! Aber auch dabei kam eine Frau mit tagelanger Placentaretention. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich danach noch etwas Blut an den Füssen hatte, da ich einen bodenlangen Wickelrock trug. 

Ich konnte doch noch anschließend in der Hukuma (dem Regierungshaus hier oben auf dem Berg) am Festmahle im großem Kreise (mit Minister etc.) teilnehmen, natürlich jemenitisch: auf dem Boden hockend, mit den Fingern essend, dann noch die Qatsitzung. Vor einigen Tagen hatten Andrea und ich einen Nothausbesuch gemacht. Auf der Heimfahrt wurde Andrea vom Fahrer mehrmals angerempelt. Das erzählte sie unserem Mudir (Direktor), der das weiterleitete. Und nun ist eine große Sache daraus geworden: der Fahrer und der Hausbesitzer liegen mit vier Fußfesseln im Gefängnis, angeblich sollen da auch alte Stammesfeindlichkeiten und Raffgier des Regierungsmudirs des Dorfes eine Rolle spielen.                             Das Gerücht landete schnell in Sana`a, unser Health Officer in Ibb (unsere Distrikt-Großstadt, von uns ca. eine Autostunde auf rough road entfernt) erhielt vom Minister einen Anruf und machte sich gleich auf den Weg nach Rehab, obwohl er an dem Tag für den Gesundheitsbereich eine wichtige Feldexkursion vorhatte --- dies ist aber alles eine jemenitische Angelegenheit. Heute zum Beispiel zogen singende Männer durch das Dorf, ein Stamm. Die Männer schlachteten für die Regierung, das heißt für den Mudir hier eine Kuh, um zu zeigen, dass sie den Mudir noch respektieren. Wegen irgendeiner Sache hatten sie eine kleine Streitigkeit gehabt. Morgen ziehen vielleicht andere und schlachten sogar einen Ochsen wegen einer anderen Sache.  

Über den Unfall habe ich im letzten Brief berichtet. Nach Erledigung unserer Aufgaben in Ibb hatte ich noch eine Gasflasche für unseren Haushalt gekauft und bin mit einem Jemeniten zurück zu unserem völlig demolierten Auto per Taxi gefahren. Alle Fenster waren natürlich zerbrochen. Wir haben unsere Sonnenbrillen aufgesetzt, die Türen mit Bindfaden befestigt und sind losgefahren, und zwar erst ich. Auf der rough road traute mir der Jemenite nicht mehr und fuhr selber. Wir verloren unterwegs unseren Stahlgepäckträger; jedoch überholte uns gerade ein pick-up: ja achi, ja uchti, (hallo, mein Bruder, hallo, meine Schwester!) können wir etwas für euch tun? Ja, danke, nehmt`doch bitte schon mal das Dach mit ins Dorf Rehab! Später wurde uns erzählt, dass unsere Leute im Dorf angesichts des Gepäckträgers aschfahl geworden sind; jedoch kamen wir ja dann auch bald an: lebendig und gesund! Mein Hintern ist allerdings tief blau. Übrigens hat dieser Jemenite, der das Unglücksauto zurückgefahren hat, drei Tage später unsere MTA Rita geheiratet, wobei am Hochzeitstage morgens noch niemand, auch die Beteiligten, wusste, dass abends Hochzeit ist! --- Am Unglückstag kam schon abends gleich aus Sana`a unsere Büro-Sekretärin und brachte den Versicherungsmann mit. Zuerst hatte sie uns natürlich in Ibb gesucht. Seit dem Unglück habe ich jetzt einige Male Ohnmachtsalpträume gehabt, die Zeitlupenmomente des Unglücksgeschehen, sicherlich wird das auch wieder vorübergehen! Während ich heute am Freitag, den Feiertag hier, diesen Brief schreibe, bin ich schon wieder drüben im Mustausaf (Health Centre) gewesen und habe sechs Leute erst einmal versorgt. Manchmal denke ich, ich möchte ganz schnell wieder nach Hause; denn es ist zur Zeit sehr viel! --- " Die Zeit " habe ich jetzt zweimal erhalten, auch einmal " Tropical Doctor ". 

Ein Päckchen ab und zu würde mich sehr erfreuen: Leberwurst-Kaffee-Dauerfilter-Krokantschokolade-Taschenbuch.

Seid nett zueinander!!! Viele Grüße sendet euch eure Elenor

 


 

9. Sana`a, den 13.6.1980

Liebe Mutter, Ihr Lieben,

vielen, vielen Dank für das Päckchen! Welch`eine Freude! Welch`ein Schmaus! Welch`eine Seligkeit durch so kleine Sachen! Ich bin ganz kurz zur Zahnbehandlung in Sana`a. Wie läuft`s wohl jetzt im Health Centre? Viel, viel Arbeit, demnächst treffen kaum noch Briefe von mir ein. Ihr könnt aber ruhig schreiben. Mir geht es gut. 

Lasst ` es euch gut gehen!!!

Alles, alles Liebe                   eure Elenor

P.S.: Ihr könnt mich auch mal besuchen hier!!!


 

10. Rehab, den 10.8.1980

Liebe Christa, 

vielen, vielen Dank für das liebevoll ausgesuchte Päckchen zu meinem Geburtstag. Fast fühle ich mich reich wie die Königin von Saba aus biblischen Zeiten, die ja hier im Jemen ihr Zuhause hatte, in Arabia Felix, im glücklichen Arabien, fruchtbar durch einen riesigen Staudamm. Du bist die einzige Kollegin, die mir bisher überhaupt in den Jemen geschrieben hat. Dass du dich fragst, wie und ob du auch einen Einsatz für dich im Entwicklungsland realisieren könntest, finde ich schon mal toll. Ich selbst habe mir das immer schon gewünscht und ganz konkret dann die letzten zwei Jahre darüber nachgedacht. Nach acht Berufsjahren mit Facharzt bin ich ja erfahren, beziehungsweise Expertin genug, andererseits auch noch nicht zu alt für Abenteuer und Flexibilität. Das Gleiche gilt doch auch für dich! Als Angestellte kann man sich beurlauben lassen, oder man kündigt oder regelt alles, was sonst so ansteht. Etliche reisen auch als Ehepaar aus. Entweder werden dann der/die PartnerInnen zur Begleitung mitfinanziert, oder für beide ist am gleichen Projektort Bedarf. Wie du noch weißt, habe ich mit anderen Ärzten verschiedener Entwicklungsorganisationen noch vor der eigentlichen Vorbereitungszeit in Berlin im letzten Spätsommer in Heidelberg und Tübingen Tropenmedizin studiert. Auch dort sind etliche Eheleute gewesen, aber nur zwei Medizinerehepaare. Unter unserer zwölfköpfigen Ausreisegruppe des ded ` s in den Jemen sind drei Ehepaare (davon aber nur vier Personen, einschließlich meiner Wenigkeit, für unser Gesundheitsprojekt). Ein Ehepaar in Sanaa hat zwei Kinder unter sechs Jahre. Ein Kind wird während der Projektzeit hier schulpflichtig, dann kann es aber hier zur Schule gehen. - Bei der zweitägigen Prüfung auf Tauglichkeit und Motivation wurden wir alle unter anderem auf psychosoziale Fähigkeiten getestet, auf Teamfähigkeit, Konfliktlösungsmöglichkeiten, Frustrationstoleranz, Einsamkeitstoleranz, Selbstbeschäftigungsfähigkeiten etc. Ich habe mir zum Beispiel eine Altflöte mit vielen Noten mitgenommen. Ölfarben zum Malen konnte ich hier kaufen. Baumwollstoffe gibt es auch reichlich, mehr als zu Hause. Mit einigen Entwicklungshelfern, aber auch Jemeniten kann man wunderbar philosophieren. So haben wir im Moment einige Bücher von Erich Fromm. Diese geistige Kost ist ja nicht so ohne weiteres leicht verdaulich! Mittlerweile laden mich auch die Frauen jemenitischer Familien zu sich nach Hause ein. Sie sind dann ganz glücklich, mich bei sich zu haben. Frauen samt Kinder sitzen dann in der Mafradsch (Wohnzimmer mit vielen Matratzen) . Wenn es zu spät oder weit entfernt und Wochenende ist, dann habe ich auch bei ihnen geschlafen. Wir schlafen dann alle in einem Raum auf den gleichen Matratzen. Eine junge, gebildete, etwas nachdenkliche Frau mit zwei Kindern drückte unverhohlen ihren Neid mir gegenüber aus. Ich hätte es so toll, ich könnte arbeiten und hätte viel Anerkennung. Dabei habe ich ihr entgegnet, dass sie ja eine liebevolle Familie mit Kindern und viel Streicheleinheiten habe, was ich noch nicht habe, - und klug sei sie ja auch und könne viel lesen etc. Die meisten jemenitischen Ehemänner behandeln ihre Frauen sehr hochachtungsvoll und gleichberechtigt in menschlicher Hinsicht, zum Teil ganz sicher besser als die große breite Masse in Deutschland. Eigentlich habe ich in Deutschland nicht so viele selbstbewusste, gestandene Frauen erlebt wie hier. Insbesondere fällt mir das auch bei den Frauen weit hoch aus den Bergen auf, die stundenlang unterwegs gewesen sind, bis sie uns erreichen. - In den letzten Wochen habe ich ein Curriculum für die medizinische Diagnostik, Beschreibung und Versorgung in englisch entworfen und getippt für das paramedizinische Personal. Später soll es in die arabische Sprache übersetzt werden. Somit kann der primäre Notdienst aufgeteilt werden. Natürlich müssen letztendlich der Arzt, die Ärztin immer im Hintergrund verfügbar sein. Allerdings bin ich ja jetzt auch nicht immer da, wenn ich zum Beispiel unterwegs sein muss. 

Viele liebe Grüße sendet dir deine Elenor, grüße auch bitte die anderen Kollegen! Vielleicht werden mir doch mal die eine, der andere schreiben?!


 

11. Rehab, den 19.9.1980

Liebe Mutter,

nun ist endlich vor zwei Tagen das ersehnte Geburtstagspäckchen wohlerhalten hier eingetroffen - Schokolade zwar etwas weich, aber gut genießbar, welch ` ein Schmaus!! Vielen, vielen Dank! - Mein Jahresurlaub geht ca. von 13.12. bis 20.01.1981. Ich werde etwa am Montag, den 15.12. nach Frankfurt fliegen. Ob ich vier oder fünf Wochen bleibe, richtet sich nach der Fluggesellschaft, bei der ich buchen werde; denn ein  Exkursionsticket dauert in der Regel nur 30 Tage, jedoch bei einigen Gesellschaften 45 Tage. Weihnachten verbringen wir ja bei Ursula in Lahr, anschließend möchte ich gerne eine Woche in einer Hütte im Schnee oder besser in einem Berghotel verbringen. Such ´ bitte was aus und buche noch ganz schnell, vielleicht wollen auch welche mit?! In Köln möchte ich am liebsten jeden Tag im warmen CD-Bad draußen in Leverkusen schwimmen oder auch jeden Tag in der Badewanne mit Kaffee und Zeitung liegen. Jetzt schon, so lange vorher freue ich mich darauf. Hier im Jemen fahren alle Entwicklungshelfer nach Hause. In den anderen Entwicklungsländern sind die Entwicklungshelfer offensichtlich nicht so wie wir ausgepowert, sie kommen zum Beispiel in ihren Ferien uns besuchen. VIELLEICHT LIEGT DAS ABER AUCH AN DER ANFÄNGLICHEN PIONIERTÄTIGKEIT IN DER VORBEREITUNGSZEIT; diese Zeit ist eben einfach mehr als anstrengend gewesen. -  Für wie lange hast du "Die Zeit" bestellt? Sie kommt regelmäßig, nur müssten wir jetzt doch die P.O.Box - .... Ebb angeben, weil Ende des Jahres unser Büro in Sanaa  eine andere P.O.Box erhält: ..... , das gilt für Sana ´a , unsere in Ibb (Ebb) bleibt ja.

Naja! Arabisch sprechen können wir schon etwas, schreiben auch; aber die Muße, nebenbei mehr zu studieren, habe ich noch nicht gehabt.  Grüßt bitte alle von mir! Alles Liebe      eure Elenor


12. Rehab, den 1.10.1980

Hallo, liebe Christa!

Nochmals möchte ich dir einige Zeilen aus dem Jemen schicken. Nach wie vor bist du bisher die einzige Kollegin, die mir in den Jemen schreibt. Darüber bin ich eigentlich ein bisschen traurig, dass so gar keiner von den anderen an mich denkt. Umso mehr erfreuen mich deine Briefe. - Endlich habe ich auch einen Vakuumextraktor (Saugglocke) und Forceps (Zangen) erhalten. Vor einiger Zeit hat mich unser  Nachbar um etwas Schwerwiegendes gebeten. Er ist ein junger Jemenite, der die Bauern landwirtschaftlich berät. Wir haben uns auch bemüht, dass er über die Welthungerhilfe einen Wagen zur Verfügung gestellt bekommt. Ich habe jetzt gefragt, ob ich folgendes schreiben darf. Ich darf. Seine Schwester ist sehr klein, hat ein ausgeprägtes Hohlkreuz und hatte noch keine lebenden Kinder, vielmehr vier Totgeburten. Sie ist nun wieder hochschwanger gewesen und kam abends, bereits im Dunklen mit Wehen, der Beckeneingang zu eng! Ich habe sofort vorgeschlagen, dass sie nach Ibb ins Regierungskrankenhaus zur Schnittentbindung  fahren müsse. Sie sagte, dass dies nicht ginge, sie sei zu arm. Auch wenn wir den Transport übernähmen, ginge das nicht, weil nebenbei ein Krankenhausaufenthalt viel zu teuer sei. (Bakschisch) . Wenn ich ihr nicht helfen würde, dann hätte sie halt wieder möglicherweise eine Totgeburt. - Ich habe ja keine Narkosemittel, keine Beatmungsgeräte, Instrumente für eine Schnittentbindung hier im Health Centre. Notfalls würde ich eine Schnittentbindung in Lokalanästhesie (örtlicher Betäubung) vornehmen. Im Urlaub werde ich mir für die Epidural(Spinal)anästhesie ("Spritze in den Rücken") einiges besorgen. - Erst einmal war die Patientin sehr kooperativ ansonsten, auch der Bruder für die Behandlung hier, sodass ich mich überreden ließ. Meine Leute waren nicht da. So habe ich beiden eingeschärft, nur das zu tun, was ich sage und dann aber auch wirklich das zu tun! Ich habe also mitten in der Nacht nach Anwurf des Generators für Strom ein Vakuum angelegt und Millimeter für Millimeter, wehensynchron mit der ausgezeichneten Pressleistung der Patientin und dem wirklich Eins-A-Kristeller-Handgriff (Armdruck von oben hinter der Gebärmutter in Richtung der Längsachse) des Bruders: --- ein wunderschönes, gesundes Kind entwickelt von hoch oben. Stell `dir das in Deutschland vor! Wir würden unsere Arbeitsplätze etc. verlieren. Es lag ein irrer Asynklitismus vor (übereinanderliegende Scheitelbeine in der Mitte). Die nächste geburtshilfliche Arbeit mit einer anderen Patientin wartete schon auf mich. Die erste junge Mutter kam in einen Raum, ca. 10 m entfernt. Nach der Arbeit, der Strom war wieder aus, schaute ich mit der Taschenlampe nach. Unsere Mutter lag bei Atonie (starker Nachblutung) in einer großen Blutlache. Da keiner mehr da war, musste durch mein lautes Rufen aufgefordert, unser alter Pförtner helfen. Wir trugen zu zweit die junge Frau schnell in mein Behandlungszimmer. Er schrie: aib! aib! ( Verboten! Verboten!), weil er Mann und sie sozusagen fremde Frau sind; später habe ich ihm in Ruhe erklärt, dass er bei Lebensgefahr hatte als ärztliche Hilfskraft helfen müssen. Auch dieses Problem konnte ich gut bewältigen. - Die Dankbarkeit der Familie ist außerordentlich groß. Das entschädigt mich für vieles. Manchmal aber glaube ich, dass gar nicht die Armut der Grund für die Verweigerung nach Ibb gewesen ist, sondern eine arabische Ergebenheit ins Schicksal, aber auch tiefes, festes Vertrauen zu mir.                                                       

Im Übrigen lerne ich hier unter anderem die Entwicklungshelfer auch in Geburtshilfe an. Sie sind sehr gut lernfähig; denn sie müssen mich ja einigermaßen vertreten, wenn ich unterwegs bin. Zu Hause hatte ich ja auch sehr gute Lehrer, Lehrerinnen. In unserer Klinik habe ich zum Beispiel eine liebe, erfahrene Hebamme überreden können, in vielen Nachtdiensten mich auch bei normalen Geburten die Kinder entwickeln zu lassen, Dammschutz anzuwenden. Du weißt ja, dass die Hebammen normalerweise diese Aufgaben konsequent und energisch selbst erledigen. Sie hat mir viele Tricks aus ihrem langjährigen Erfahrungsschatz mitgegeben. Im Kinderzimmer durfte ich die Neugeborenen auch nachts wickeln etc.; denn als Junggesellin hatte ich ja kaum Erfahrung, Säuglinge anzufassen. Ich erinnere mich noch, dass ich im Staatsexamen vor Jahren in der Kinderklinik zum Beispiel eine kurze Weile hilflos vor meinem kleinen sechs Monate alten Examensfall stand, ehe ich mich traute, den kleinen Säugling auszupacken, um ihn zu untersuchen. -  Ich könnte dir sicherlich von hier noch viel, viel mehr schreiben, aber heute ist es genug.              Alles, alles Liebe sendet dir deine Elenor

Download von GIZ 2015: https://www.giz.de/de/downloads/giz2015-factsheet-Jemen-de.pdf

und Link: https://www.giz.de/de/weltweit/17105.html

siehe auch: http://www.aerzteblatt.de/archiv/82322


               Fortsetzungen werden folgen!

(Für die Folge-Briefe benötige ich viel Zeit, da diese Briefe sehr überarbeitet werden müssen, weil sie zu viel über mich persönlich beinhalten. Diese Zeit zur Revision habe ich aber in den letzten zwanzig Jahren kaum finden können. Ich habe lieber eine Familie gegründet und mich ständig in meinen Facharztgebieten weitergebildet.)

Zwei durch meine Hilfe zur Welt gekommene Kinder. Davor hatte die Mutter vier Totgeburten. Der Herr auf dem Bild ist der Bruder der Mutter und hatte aktiv  bei der Geburt seines Neffen und seiner Nichte assistiert. Daneben darf ich stehen. Unten sehen Sie mein Kind und mich nach meiner Rückkehr. Hier auch einige meiner Jemenbilder!!!

LINK: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ausstellung-in-berlin-der-untergang-des-jemen.1013.de.html?dram:article_id=422823

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Aktualisiert: 27.06.2021

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